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Der Tag der Träume

  • wortbeat
  • 18. Sept. 2020
  • 5 Min. Lesezeit

Eine Woche vor unseren großen Auftritt als Vorband der Woodstock Veteranen Canned Heat, obwohl bei den Australiern nur noch ein Gründungsmitglied übrig ist, immer noch eine erstklassige Blues Band, besuchte ich unseren Sänger Bon zusammen mit meiner damaligen Freundin. Bei ihm war an diesem Abend zufällig eine jüngere Bekannte von ihm zu Gast, für mich eine Unbekannte, die mich aber sofort in ihren Bann zog. Bon und meine Freundin begannen sich anregend zu unterhalten, da sie sich schon lange kannten und auch sehr gut verstanden, war das nicht anders zu erwarten.


Obwohl ich etwas schüchtern war, begann ich ein Gespräch mit dieser bildschönen Unbekannten und es sollte ein unvergesslicher Abend für uns alle werden. Ihre wilden rotbraunen Haare mit der hellen Strähne ließen mich alles vergessen. Später erzählte sie mir, dass die Strähne nach einem Alptraum in ihrer Kindheit einfach am nächsten Morgen da war. Wir tauchten in eine mir bisher unbekannte Vertrautheit, als würden wir uns schon seit Äonen kennen. Die Zeit löste sich vor unseren Augen auf. Jede ihrer Bewegungen faszinierte mich. Ich berauschte mich am Klang ihrer Stimme und war definitiv nicht mehr Herr meiner Sinne, ihr Herzschlag schien mich zu stigmatisieren. Beide vergaßen wir, wo wir waren, dass wir in langjährigen Beziehungen unserer Glück gefunden zu haben schienen. Doch genau jetzt in diesem Moment schien sich alles um uns herum zu drehen und auf magische Weise zu verändern. Sie griff benommen nach meinen Händen und sagte: „Ich habe keine Angst.“ Mein Blick explodierte in ihren Augen, ich war frei, wir waren zwei.


Ihre linke Hand umklammernd, rannten wir wie von Sinnen los, aus dem Zimmer, aus der Wohnung, auf die Straße, durch die Fußgängerzone und die halbe Stadt. Wir stoppten erst an dem kleinen Wäldchen, bei dem sich die alten Badeteiche befanden. Halb entkräftet und außer Atem blieben wir stehen, keuchten vor Erschöpfung, aber lachten vor Glück, atemlos und losgelöst. So etwas Verrücktes hatte ich noch nie getan. Nachdem wir uns einigermaßen erholt hatten, liefen wir ziellos kreuz und quer durch das idyllische Wäldchen und um die fast zugewachsenen Teiche. Die Nacht war herrlich warm, der Mond und die Sterne wiesen uns den Weg. Wir gingen Hand in Hand minutenlang wortlos, um uns kurz darauf in endlosen Gesprächen über Gott und die Welt zu verlieren. Ein Zauber begleitete uns die ganze Nacht hindurch, Sternschnuppen ließen keine Wünsche offen. Wir waren eins mit uns, der Zeit und dem Raum, alles erschien wie ein Traum.



Bei Sonnenaufgang saßen wir an einer Stelle am Ufer eines der Teiche, wie geschaffen für Liebespaare. Einige Meter abseits des Hauptweges, von einigen Birken gesäumt und von einem Gebüsch etwas verdeckt lag ein wirklich bezauberndes verstecktes Plätzchen. In dem Moment als die ersten Sonnenstrahlen auf uns trafen, küssten wir uns zum ersten Mal. Mir schien es, das gesamte Universum würde nur um uns kreisen. Bisher nicht gekannte Gefühle durchströmten meinen Körper, so dass ich befürchtete, gleich sterben zu müssen. Zum Glück war das Gegenteil der Fall, ich begann zu leben. War das wirklich ein Kuss oder die Verschmelzung unserer Seelen? Die Sonne stieg empor. Ich sagte zu ihr: „Fortan möchte ich jeden Tag so beginnen.“


Da sich unsere Kleiderordnung an keine Ordnung mehr hielt und es mittlerweile sehr heiß wurde, zogen wir uns gegenseitig langsam aus. Ich zelebrierte jedes Kleidungsstück von ihr. Wir legten uns auf unsere Sachen. Unsere nackten Körper lagen eng umschlungen im morgendlichen Sonnenschein. Wir streichelten und küssten uns am ganzen Körper, sie hatte die weichste und sanfteste Haut, die ich je berührte. Wir waren ein Knäuel der Liebe, ein Kraftfeld voller Energie, losgelöst vom irdischen Sein. Ein Vorspiel auf all die Freuden, die wir noch gemeinsam erleben würden. Unsere Körper vereinigten sich an diesem Morgen noch nicht.


Der Schweiß lief an uns herunter und wir hatten gleichzeitig die Idee ein erfrischendes Bad zu nehmen. Also rannten wir los und stürzten uns wie Kinder ins kalte Nass. Als wir einige Minuten später wieder glücklich am Ufer lagen, trug ich ihr ein Gedicht vor, das ich in meiner Jugendzeit geschrieben hatte. Ich hatte das Gefühl, es sei für diesen Zeitpunkt wie geschaffen.


Der letzte Traum

Der Traum

der Träume

Apfelbäume

grünes Gras

und ich saß

neben dir

die ganze Welt

unser Revier

wir waren glücklich

im Jetzt und Hier.


Hier waren zwar keine Apfelbäume, jedoch viele Bäume für Träume. Sie war entzückt über diese lieblichen Zeilen. Denn sie hatten in diesem Augenblick ihre absolute Gültigkeit. Ich wünschte mir, dass dieser Moment niemals enden würde. Ihr erging es ebenso. Wir sagten uns die magischen Worte quasi zeitgleich: „Ich liebe dich.“ Erst als die Sonne, fast schon im Zenit stehend, unerträglich heiß brannte, lösten wir uns aus unserer Umarmung.


Dann suchten wir langsam unsere Klamotten zusammen, um uns wieder zu bekleiden. Dabei konnte keiner den Blick vom anderen lassen. Als wir fertig waren, fassten wir uns bei den Händen und liefen dem schattigsten Pfad, sinnvernebelt und etwas orientierungslos zurück in die Stadt. Unterwegs fiel uns ein, dass wir ja noch zwei Menschen Bescheid sagen müssen, dass sie leider wieder Single sind. Das wollten wir auf gar keinen Fall auf die lange Bank schieben. In der Stadt zurück, verabredeten wir uns für den späteren Nachmittag, verabschiedeten uns und gingen beide die schwierigen Wege. Natürlich hatten wir auch ein schlechtes Gewissen, aber wie das Leben eben manchmal so spielt.


Vorweg kann ich berichten, dass Bon und meine damalige Freundin einige Monate später ein glückliches Paar wurden und auch ihr Ex-Freund nach einiger Zeit die Liebe wiederfand.



Am späten Nachmittag trafen wir uns wieder. Wir hatten es wirklich getan, ich war einfach nur glücklich, sie in meine Arme zu schließen und zu fühlen, dass sie ebenso empfand. In meiner totalen Euphorie kniete ich vor ihr nieder und hielt um ihre Hand an. Auch sagte ich ihr, dass ich natürlich die Einwilligung ihres Vaters einholen würde und ließ sie gleichzeitig wissen, dass ich sie aber so oder so heiraten würde, wenn sie Ja sagte. Und sie sagte: „Ja.“ Dabei heulte sie vor purem Glück, mir erging es nicht anders. Der Gedanke, unsere drei Töchter würden hübsch und intelligent sein, schoss mir durch den Kopf. Wir nahmen uns in die Arme und küssten uns innig, voller Liebe und Zärtlichkeit.


Immer noch berauscht, schlug ich ihr vor, Nägel mit Köpfen zu machen und mit dem nächsten Bus zu ihren Eltern zu fahren, um die Neuigkeiten zu verbreiten, was wir dann auch taten. Beide waren wir ziemlich aufgeregt. Vor 24 Stunden hatte das keiner von uns ahnen können, da wir uns auch noch nicht kannten. Bei ihren Eltern angekommen, schlotterten mir die Knie. Sie stellte mich ihnen vor und ich fiel gleich mit der Tür ins Haus. Ihr Vater war völlig perplex. Aber da er die Entschlossenheit im Gesicht seiner Tochter sah, fragte er nicht einmal nach seinem Schwiegersohn in spe bis Today. Stattdessen fragte er mich nur eines: „Warum?“ Ich antwortete ihm: „Weil sie die Eine ist!“


Entweder sind wir noch verheiratet oder alles war nur ein Traum. Die jungen wilden Jahre hatten es wirklich in sich gehabt. Mein Name wurde gerufen. Ich erwachte aus der Narkose. TK

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