Der ungebetene Gast – Teil 2
- wortbeat
- 12. Juli 2020
- 5 Min. Lesezeit
Zwei Wochen später war es wieder soweit, Samstagnachmittag über Land im Bus, im Blut den Blues. Heute fuhren nur zwei Kumpels mit, Alex, Musiker, Maler, Lebenskünstler mit Interessen für beiderlei Geschlecht und Silvan, zwei Meter groß, immer praktisch als Galionsfigur, Baufacharbeiter mit schlichtem Gemüt, aber mit einem Talent Geschichten zu erzählen, wie es der ehrenwerte Baron Münchhausen nicht besser gekonnt hätte. Beide kannte ich seit unserer gemeinsamen Schulzeit und den unzähligen Stunden auf dem Fußballplatz.
Und ob ihr es glaubt oder nicht, heute Morgen lief im Radio der Song TWIST IN MY SOBRIETY. Das Omen war wieder da, und ich dachte mir, dies verspricht wieder ein formidabler Abend zu werden. Bis wir im Schuppen ankamen, hatten wir eine gute Zeit hinter uns, das Procedere wie gehabt, wir hatten Durst, waren heiß auf Musik und jede Menge Spaß sowie amourösen Abenteuern nicht abgeneigt.

Da wir heute etwas später dort ankamen, konnten wir nach einem geringen Obolus, ohne Wartezeit eintreten. Willkommen zu Hause, dachte ich vor mich hin oder vor mir her. Wir orderten uns drei Bier und checkten die Lage. Es war kaum jemand zu sehen, den wir nicht kannten. Ich sah Stella und Tom, sie begrüßten uns, alles wie gehabt. Auch heute verrann die Zeit wieder wie im Flug, Gerstensaft floss, Gespräche wurden gesprochen, soweit ich hörte ununterbrochen. Irgendwann wurde meine Aufmerksamkeit abgelenkt, Stella kam zusammen mit einer Freundin geradewegs auf mich zu. Sie strahlte über das ganze Gesicht und mir war, als sagte sie, ich liebe dich. Sofort erwiderte ich vollen Herzens, ich liebe dich auch. Sie begann schallend zu lachen und betitelte mich als Blödmann, worauf ich nichts zu erwidern wusste. Dann sagte sie es noch einmal und für mich verständlich. Das ist meine Freundin Maris, sie hat sich ein bisschen in dich verliebt. Da hatte ich in der Tat wohl einige Worte überhört und oder missverstanden. Aber das klang nicht weniger phantastisch. Maris war sehr hübsch und besaß in etwa die gleiche Statur wie Stella, schon war auch ich, etwas in sie verliebt, die Leichtigkeit der Jugendzeit. Stella ging kichernd ihrer Wege und ich verzog mich mit Maris in eine ungestörte Ecke, damit wir uns besser kennenlernen konnten. Ihre wilde braune Mähne verzauberte mich und sie roch atemberaubend gut. Dieser schöne Abend entwickelte sich zu einem sehr schönen Abend.
Déjà-vu oder wie auch immer, hielt ich nach einer vergnüglichen Zeit Ausschau nach Finn, was soll ich sagen, Maris war auch nicht von hier und die letzte Bahn war schon gefahren, wir waren jung, brauchten eine Penne und hatten Pläne für die Nacht. Die hatten anscheinend auch andere. Ich entdeckte Finn und seine nächtliche Wahl, er knutschte mit Alex. Na dann. Wir gingen zu den Beiden und unterbrachen ihr Liebesgeflüster, um unser Anliegen vorzubringen. Finn fragte nur, ob Stella auch mitkäme und wir mussten vor Verlegenheit grienen, da Maris, als Stellas Freundin, die Geschichte natürlich auch kannte. Alex machte Finn einen Knutschfleck, ich weiß auch nicht, ob er uns überhaupt wahrnahm. Erst als er ihn direkt ansprach, gehen zu wollen, war Alex wieder in der Realität und stimmte uns eifrig zu. Einer romantischen Nacht stand jetzt nichts mehr im Wege, zwei Pärchen, vier Gedanken und erotische Spiele als kongruentes Ziel. Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da.

Wir hatten gerade die heilige Vergnügungshalle ungerade verlassen, da rief hinter uns jemand Alex und meinen Namen. Es war Silvan, er hatte auch keine Penne. Auf ein fünftes Rad am Wagen, hatte trotz aller Freundschaft, in diesem Moment keiner Lust. Silvan auszureden mitzukommen, stieß leider auf Granit, da er total betrunken war. Was sollten wir machen, ihn hängenzulassen erschien uns fies, also nahmen wir ihn mit. In der Wohnung angekommen, musste Silvan zugleich ins Bad, um sich zu übergeben. Ich hoffte, er würde dort bleiben, um in der Badewanne seinen Rausch auszuschlafen, was er aber nicht tat. Im Wohnungsflur zu schlafen, hatte er auch kein Interesse. Also mussten Maris und ich uns damit abfinden, den Küchenfußboden mit ihm zu teilen. Meine Hoffnung war, dass er in seinem Vollrausch umgehend einschlafen würde.
Nachdem wir die Matratzen, Decken und Kissen aufgeteilt hatten, legte er sich zum Glück gleich zur Ruhe. Wir gingen derweil noch einmal ins Wohnzimmer zu Finn und Alex, rauchten einige Zigaretten und redeten, bis uns Finn zu verstehen gab, wir sollten uns verziehen. Also gingen wir vorsichtig in die Küche zurück und machten es uns gemütlich. Silvan schien zu schlafen. Maris war die Schlafaufteilung sehr unangenehm. Auch ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Privatsphäre gehabt hätten, machte mir darüber aber weniger Sorgen, da ich mit ihr, bis auf ihren Slip entkleidet, zusammen im Bett lag und das ließ mich alles andere vergessen. Wir küssten uns zärtlich und streichelten unsere Körper. Ihre Bikinizone durfte ich allerdings vorerst nicht berühren, da sie sich wegen des unerwünschten Beischläfers nicht vollends entspannen konnte. Es war eines der längsten Vorspiele, an denen ich je teilnahm, bevor es schlagartig endete.

Denn es passierte tatsächlich. Das Missfallen über unsere Schlafsituation wich totalem Entsetzen. Ich hatte noch nicht richtig realisiert, dass mich eine dritte Hand an der Schulter berührte, da wurde ich auch schon nach hinten gerissen und ein Schatten sprang über mich auf Maris zu. Es war Silvan, er warf sich auf sie und grabschte nach ihren Brüsten, versuchte sie zu küssen und eine Hand zwischen ihre Beine zu zwängen. War ich jetzt in einem schlechten Film oder versuchte er sie zu vergewaltigen? Es war einfach nur widerlich und abstoßend. DAS TIER IM MENSCHEN, der Titel eines Buches von Emile Zola, war nur einer der Gedanken, der mir durch den Kopf schoss. Aus meiner kurzen Starre erwacht, sprang ich auf die Füße, packte Silvan an seinen Füßen und zog in von Maris herunter. Durch ihre Schreie aufgeschreckt, kamen Finn und Alex notdürftig bekleidet und aufgeregt hereingestürmt. Als sie realisierten, was passiert war, ging Finn zu Maris und Alex half mir, Silvan, der Obszönitäten von sich gab, die ich hier nicht erwähnen möchte, aus dem Zimmer zu zerren. Wir entschieden uns für den Hausflur. Alex holte noch seine Klamotten und warf sie ihm hinterher. Die Idee, sie aus dem Fenster zu werfen, kam mir leider erst später. Du Drecksack war die mildeste Beschimpfung, die wir ihm verbal hinterherwarfen. Danach schlossen wir die Tür und kümmerten uns nicht mehr um ihn. Wir gingen zurück, um nach Maris zu sehen. Finn hatte sie halbwegs beruhigen können, ich setzte mich zu ihr und nahm sie in meine Arme. Sie schluchzte. Finn und Alex gingen zurück ins Wohnzimmer.
Was war das für ein abartiger Spuk? Wir saßen minutenlang engumschlungen und wortlos beisammen. Dann ganz langsam löste sich der erste Schreck. Sie sagte, wie widerlich sie das Szenario empfand und anderseits wie erleichtert sie sich fühlt, dass es so schnell wieder vorbei war. Sich an mich schmiegend, dankte sie mir verlegen, ich war aufgewühlt und erregt zugleich. Wir berührten einander und küssten uns, nun waren wir allein. Nach diesem Alptraum, als wäre nichts geschehen, machten wir da weiter, wo wir vorhin so abrupt unterbrochen wurden, mit dem Unterschied, dass ihre Bikinizone kein Sperrgebiet mehr war. Wir liebten uns zärtlich und ausgiebig den Rest der Nacht, bis wir in der Morgendämmerung glücklich ineinander verschlungen einschliefen.
Ich habe Maris, nachdem ich sie zum Hauptbahnhof brachte, nicht mehr wiedergesehen, aus den Augen aus dem Sinn, private Telefone waren im Osten noch rar gesät und Handys noch lange nicht auf dem Markt. Auch Silvan sollte ich vorerst zum Glück nicht mehr begegnen, ihn zog es wenige Wochen später in ein anderes Bundesland weiter westwärts, so wie viele andere zu dieser Zeit. Nach etwa fünfzehn Jahren kehrte er zurück. Wir haben nie über die damaligen Ereignisse gesprochen und hatten auch keinen weiteren Kontakt mehr miteinander. Auf Grund seines Wesens wird Silvan vermutlich nie wieder über diese Nacht nachgedacht haben, ich lange Zeit auch nicht, aber dann bekam ich einige Jahre später einen Denkanstoß zur Erinnerung, als ich erfuhr, dass zur damaligen Zeit eine junge Frau, welche die gleiche Schule wie Silvan besucht hatte, vergewaltigt und ermordet aufgefunden wurde. Was muss das für ein Mensch sein, der zu so einer Tat fähig ist. Das Verbrechen ist bis zum heutigen Tag nicht aufgeklärt. TK
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