Der ungebetene Gast - Teil 1
- wortbeat
- 9. Juli 2020
- 5 Min. Lesezeit
Ich fuhr mit einigen Freunden, unbeirrt der knapp ein Jahr zuvor vollzogenen innerdeutschen Wende und den damit verbundenen größeren Auswahlmöglichkeiten bei der Freizeitgestaltung, wie fast jedes Wochenende der letzten Jahre mit dem Überlandbus halb vier in die Landeshauptstadt, um uns dort nach besten Wissen und Gewissen zu amüsieren. In der Regel war die einstündige Busfahrt bereits feuchtfröhlich, so dass wir wohlgelaunt am Zielort ankamen. Das Endziel war der Schuppen, eine angesagte buntgemischte Szene Location in der Nähe des Hauptbahnhofes. Bis dahin hatten wir im Normalfall zwei bis drei Kneipen hinter uns, so wie auch heute, bevor wir gegen zwanzig Uhr frohgelaunt dort ankamen. Eine respektable Menschenmenge, in der viele bekannte und liebgewonnene Gesichter auftauchten, versammelte sich schon vor der Eingangspforte. Obwohl nur einhundertsechzig Zentimeter groß, sah ich Stella mit ihren wilden roten Haaren ganz vorn herausragen. Mich überkam das Gefühl, dass dies ein sehr schöner Abend werden würde. Ich wurde nicht enttäuscht.

Als wir dann endlich alle unser erstes Bier, zumindest in dieser Location, in der Hand hielten, konnte die Party so richtig losgehen, Saturday-Night-Fever auf Rock<n>Roll Basis. Sämtliche Bekannte wurden begrüßt, abgeklatscht oder mit ihnen angestoßen, die Zeit verflog im Nu. Es dauerte nicht lange und Stella, heute ohne ihren Freund, gesellte sich zu mir, worüber ich mehr als erfreut war. Wir kannten uns schon einige Jahre, da wir in denselben Kreisen verkehrten, uns schon auf vielen Konzerten trafen und bestens miteinander auskamen. Irgendwann entwickelte sich das zu einer wirklichen Freundschaft. Da sie eine sehr attraktive junge Frau war, konnte Mann sich immer etwas vorstellen, die Umsetzung wäre wieder eine ganz andere Sache gewesen. Momentan war sie mit einen meiner besten Freunde, Tom, aus meiner Clique liiert und daran wollte ich auch nichts ändern. Aber wie das Leben manchmal so spielt, kam es anders, als man dachte.
Nach zwei weiteren Gerstensäften nahm sie mich bei der Hand und offerierte mir, dass wir jetzt und hier eine Freundin für mich suchen würden. Damit begann der Spaß so richtig. Sie bot mich einigen, von ihr erwählten jungen Damen feil, aber keine zeigte wirkliches Interesse. Wir amüsierten uns so prächtig, dass geschehen musste, was geschah. Wir fingen an, uns zu küssen, danach zu fummeln, um dann noch mehr voneinander zu wollen. Da wir beide nicht von hier waren, sie wohnte vierzig Kilometer entfernt, würde das wohl darauf hinauslaufen, dass wir vor Ort bei einem gemeinsamen Kumpel übernachten würden. Diesbezüglich setzten wir sogleich alle Hebel in Bewegung, um diese unerwartete Liebesnacht zu realisieren. An Tom verschwendete ich keinen Gedanken, er war momentan vergessen, ihr schien es nicht anders zu ergehen. Unser erwählter Herbergsvater war Finn, dessen Wohnung nur zehn Minuten zu Fuß von hier entfernt lag. Er hatte nichts dagegen einzuwenden. Eine Stunde später waren wir auf dem Weg zu ihm.
In der Wohnung von Finn angekommen, schalteten wir nach dem Licht das Radio ein, dem Soundtrack seines Lebens sollte man immer die Möglichkeit geben, die Stimme zu erheben. Als ich den Song hörte der gerade lief, überkam mich eine Gänsehaut, es war TWIST IN MY SOBRIETY von Tanita Tikaram. Ich dachte mir, was für ein Omen, da ich unerklärlicher, aber erfreulicher Weise nach dem Hören dieses Songs in den letzten Wochen mehrfach erotische Erfahrungen sammeln durfte. Gleich würde ich mit Stella allein sein, meine Erregung stieg. Finn verteile die Matratzen, Decken und Kissen und wies uns unseren Schlafbereich zu. Die ganze Küche gehörte uns und wir gestalteten sie so gemütlich, wie es unter diesen Umständen möglich war. Wer brauchte schon eine luxuriöse Einrichtung, wenn ihm eine heiße Liebesnacht bevorstand.

Als wir uns gegenseitig entkleidet und zur Unruhe gebettet hatten, verloren wir uns in einem innigen Kuss, der die Welt um uns sich drehen ließ. So war zumindest mein Empfinden, denn bei Stella drehte sich quasi das ganze Universum durcheinander in ihrem Kopf und Magen. Die Frage welches Bier schlecht war erübrigte sich. Ihr wurde nicht nur sprichwörtlich speiübel, sondern wortwörtlich, sie stand hektisch auf und rannte zum Fenster, riss es auf und übergab sich auf der Stelle. Ich trat an ihre Seite, legte meinen Arm um ihre Schultern, um sie tröstend zu unterstützen. Als ihr Erbrochenes auf dem Bürgersteig landete, konnte sie schon wieder lachen, wir befanden uns im vierzehnten Stockwerk eines grauen ostzonalen Plattenbaus, der jetzt teilweise mit westlichen Farbtupfern aus bayrischen Gerstensaft und griechischen Gyros versehen war. Eine nicht erwartete Wendung, die allerdings der Stimmung des Abends keinen Abbruch tat, wir lachten köstlich über diesen Fauxpas. Da dieses Malheur in der Küche passierte, war das Waschbecken praktischer Weise gleich neben dem Fenster, so dass sich Stella erst einmal ihr Gesicht wusch, um wieder zu Sinnen zu kommen und ihren Mund ausspülte. Wir umarmten uns und sie fragte mich unsicher, ob es sehr schlimm wäre, wenn wir keinen Sex hätten. Ich gab ihr zu verstehen, dass das für mich in Ordnung sei, sie atmete auf und schmiegte sich an mich. Nach einigen Minuten gingen wir zu unserer provisorischen Bettstatt, legten uns nieder und schliefen engumschlungen ein. Ich denke, mich zu erinnern, dass wir am Morgen in der gleichen Position erwachten, wieder nüchtern, keinen Kater und keinen Katzenjammer, beide bestens gelaunt. Wir ließen den gestrigen Abend und die Nacht bei einer morgendlichen Zigarette schamlos noch einmal Revue passieren, kicherten, scherzten und lachten herzhaft darüber, so als wäre es das normalste von der Welt, was es auch irgendwie war. Wir waren Freunde, sie war mit Tom zusammen, einem klasse Typen und gestern war gestern. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Irgendwann standen wir dann doch auf und schauten ob Finn schon munter war. Das war er. An Finn finde ich gut, dass er keine dummen Bemerkungen über Stella und mich machen würde, denn auch er kannte Tom, Gedanken ja, aber er ist eher der stille zurückhaltende Typ sowie homosexuell und wundert sich über nichts Heterosexuelles mehr. Stella und ich kümmerten uns um den Kaffee und deckten gemeinsam den Frühstückstisch, Finn sorgte für die musikalische Untermalung. Perfekt. Kaffee schwarz, die dazugehörige Zigarette und ein Frühstück mit besten Freunden sowie den Red Hot Chili Peppers mit ihrem aktuellen Album MOTHER´S MILK, viel besser konnte der Tag nicht beginnen. Nach dieser ausgiebigen Schlemmerei machten wir uns ganz gemütlich fertig, um zum Hauptbahnhof zu gehen. Stella würde mit dem Zug zurückfahren, ich mit dem Bus. Als wir am Hauptbahnhof ankamen, brachte ich sie bis zum Bahnsteig und wartete mit ihr bis der Zug eintraf. Zum Abschied umarmten wir uns innig, sie bedankte sich für den schönen Abend, dem ich mich nur anschließen konnte. Dann küssten wir uns ein letztes Mal, sie stieg in den Zug, suchte sich einen Fensterplatz und winkte zum Abschied, als dieser langsam aus dem Bahnhof fuhr. Ich ging mit etwas Wehmut, aber glücklich die hundert Meter bis zur Bushaltestelle, stieg dort in meinen Bus, der gerade ankam und träumte auf der einstündigen Rückfahrt von Stella und unserem kleinem Liebesabenteuer. Es war ein wunderschöner Sonntagnachmittag.

Zu Hause angekommen, zurück in der elterlichen Wohnung, wich die Euphorie allmählich dem kommenden Montag, dem Studium und den alltäglichem Leben. Aber zum Glück wartete der Freitag bereits. Und ein neues Abenteuer träumte schon davon, gelebt zu werden. Schließlich ist man nur einmal jung.
Fortsetzung folgt! Der erwartete ungebetene Gast hat seinen Auftritt in Teil 2. Seid ihr dabei? TK
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