Eine sehr ausgefallene Silvesterparty
- wortbeat
- 7. Jan. 2020
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Mai 2020
Logbucheintrag vom 1. Januar 2020, Sternzeit ist noch in Arbeit, und außerdem nachträglich noch alles Gute zum Neuen Jahr
Die Silvesterparty, zu der ich gegangen wäre, hätte sie stattgefunden, wurde leider kurzfristig abgesagt. Er, 47, ein Mann wie ein Baum, von Beruf Messebauer, reichlich tätowiert, ehemals Schlagzeuger in einer Punkrockband und dem Hobby Eisenbiegen, ist nicht nur manchmal ein großes Kind und ausgerechnet heute, also gestern, hatte er ein so unglaublich großes Böckchen, dass es zu dieser späten Absage kam.
Seine Freundin, wesentlich jünger, von Beruf Lebenskünstlerin und mit viel mehr Tattoos als Er, 47, die immer alles gibt, aber dafür kein Kindergeld bekommt, trifft hierbei keine Schuld. Sie hat alles in ihrer Macht stehende getan, ihn zu besänftigen und zaubern kann sie immer noch nicht, obwohl ich ihr das anfangs dringend empfohlen hatte und das sogar damals schon auf Empfehlung hin.
Ich kann jetzt viele Vermutungen darüber anstellen, was passiert sein könnte und das mache ich jetzt auch.
Aus meiner Sicht waren mögliche Verstimmungen die Folgenden. Da wären quasi alle möglichen Aua-Wehs von der Fußspitze bis zum Scheitel, vielleicht auch nur ein kleines Pickelchen, das eitel störte und ihn empörte. Aber wahrscheinlich hat er wie sooft beim Frühstück sein Lieblingsshirt, das mit dem Tier von den Muppets, dass animalisch ein Schlagzeug malträtiert, mit Nussnougatcreme vollgeschmiert und sich darüber so echauffiert und temporär hyperventiliert, dass der Tag für alle Hausbewohner gelaufen war. Einige gingen sogleich ihrer Wege und besuchten weit entfernt lebende Verwandte. Die Haustiere gebärdeten sich partiell wie die Bremer Stadtmusikanten und rannten unkoordiniert über den Hof. Selbst nicht anwesende Menschen, wie die geladenen Silvesterpartygäste, wurden davon reichlich tangiert, der eine oder andere gar aus der Bahn geworfen.

Ich für meinen Teil wurde zwar nicht aus der Bahn geworfen, doch da meine Freundin arbeiten musste, weil das Geld leider nie von allein zu uns kommt, aber mein luxuriöser Lebensstil finanziert sein will, hatte ich sehr viel Zeit mit mir zu verbringen und ich beschloss zu allererst einmal Baden zu gehen. Das war dann auch sehr schön. Als ich mich anschließend vor dem Spiegel mit dem Kletteisen noch etwas hübsch zu machen versuchte, doch die Falten blieben die alten, bemerkte ich eine mysteriöse Blutung auf meiner Nase. Ich dachte mir, dass ich wahrscheinlich in der Badewanne eingeschlafen war und dann zu weit raustrieb, dort vermutlich von einem wilden Quietschentchen tätlich angegriffen wurde, dass mich aber zum Glück nicht schändete. Als ich eine Stunde später die Packung mit den Pflastern fand, machte ich mir eines auf die klaffende Wunde und schon war alles wieder gut. Was für ein verrückter Silvesterabend, habe ich mir noch gedacht, bevor ich zusammen mit meinem Spiegelbild in ein schallendes Gelächter verfiel. Anschließend ging ich zum Kühlschrank und holte mir ein Fläschchen Piccolo Sekt, um mit niemanden anzustoßen, da es auch erst 22 Uhr war. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern. Als ich am nächsten Morgen an der Bushaltestelle erwachte war mir sehr kalt. Ich wusste nicht wie ich hierher kam, eventuell hatte ich Fluchtträume, die ich schlafwandelnd in die Tat umgesetzt haben musste, aber das war jetzt auch egal, da ich wusste, wie ich wieder nach Hause kommen würde, ich rief mir ein Taxi und lief los, da ich kein Geld hatte es zu bezahlen. Ich kam gut im neuen Jahr in meiner alten Wohnung an.
Ein anderer, der auch nicht aus der Bahn geworfen wurde, fing die Metapher auf und ging zum Bahnhof. Dort setzte er sich in die nächste Bahn und fuhr mit ihr wieder zu seiner Frau, die auf ihn wartete oder auch nicht, ihr Kater hieß Schrödinger, aber das war schon letztes Jahr.
Von einem weiteren hörte ich, dass er sich in einer Bar hemmungslos betrank und dort sein Unwesen trieb, welches hier aber unbeschrieben bleiben soll. Schlussendlich wurde er aus der Bar geworfen. Die letzte Bahn war da bereits seit Stunden weg, so dass er die erste benutzen konnte, wenn er wollte. Wohin er fahren würde, sollte er allerdings nie erfahren, da er auf dem Bahnsteig einschlief und erst am späten Nachmittag erwachte, um sogleich verwirrt den Heimweg anzutreten. Kurz vor der Bowlingbahn, unter der er wohnte, wurde ihm bewusst, dass er sich gestern mächtig die Kugel gegeben hatte und gleich darauf dachte er sehr vergnügt, the same procedure as every year.
Noch andere, bisher ungenannte, da unbekannte, Silvesterpartygäste in spe wurden durch ehemalige Abschnittsbevollmächtigte (ABV) a.D. der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) von ihrer Raketendepots (RD) und Alkoholvorräten (AV) abgeschnitten und in ihre Heimatdörfer (in HD) rücküberführt. Da die Bild-Zeitung keine besonderen Zwischenfälle verlauten ließ, wird es wohl auch keine gegeben haben oder diese wurden aus Gründen der friedlichen Koexistenz mit der Umwelt und unseren Nachbarplaneten verschwiegen.
Eine letzte Meldung kam eben noch rein. Das wilde Quietschentchen wurde am Neujahrsabend bei einer Schlägerei mit einheimischen Forellen unter einer Brücke in der Ilm festgenommen. Im Anschluss an seine Inhaftierung wurde es umgehend resozialisiert. Nach eigener Aussage resultierte seine Aggression durch die Gefangenschaft im falschen Körper. Dementsprechend wurde es, Dank plastischer Chirurgie und neuester Gummierungsverfahren, geschlechtsumgewandelt und kann nun ein sicheres und glückliches neues Leben in den Bergen südlich von Ilmenau leben.

Gehabt Euch wohl, alle Jahre wieder, so auch in diesem Jahr. TK :-)
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